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Interview Sarah Kuttner

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Eine Viertelstunde zu spät liefert mich die auffallend lahme Taxifahrerin in einem italienischen Lokal mit dem Namen “Trattoria Paparazzi” ab. Sarah sitzt mit ihrem Manager, der auch ein sehr guter Freund ist, dort und hat Spagetti mit Meeresfrüchten bestellt (er isst Thunfischcarpaccio mit frittierten Kapern).

Sarah lächelt und nimmt meine Entschuldigung für das Zuspätkommen an.
Sarah ist Sarah Kuttner und somit Fernsehmoderatorin und Kolumnistin.
Sarah trägt gerne Vintage-Stiefel, die sie bei eBay kauft. Sarah ist Berlinerin.
Sarah ist dreißig. Sarah mag Wollmützen, weil sie sich dann keinen Kopf um selbigen machen muss.
Sarah schreibt nicht autobiographisch.
Sarah kann mit amerikanischen Komödien in den seltensten Fällen etwas anfangen
Sarah zieht bei einem ersten Date das gemeinsame Reparieren einer Waschmaschine einem Candlelight-Dinner vor.
Sarah will nicht muffig rüberkommen.
Sarah liest „Gala“. Sarah kauft sich im Frühling einmal pro Woche selber Tulpen.
Sarah kann ziemlich gut Senfeier kochen.
Sarah reizt die Spargelzeit jedes Jahr aufs Neue ordentlich aus.
Sarah findet Sex, Drugs & Rock’n‘Roll albern, denn das endet irgendwann zwangsläufig nur im meditativen Schneidersitz.
Sarah verschenkt gerne gute Bücher. Sarah liebt David aus der Serie „Six Feet Under“.
Sarah ist Raucherin.
Sarah kann nicht auf zwei Fingern pfeifen, würde es aber gern können.
Sarah hat eine Nähmaschine zu Hause und weiß damit umzugehen.
Sarah weiß, was sie will.
Sarah hält Snowboarden für einen verrohten Ballermann-Sport für Ziegenbartträger, Guano-Apes-Fans und anstrengende Dauer-Fun-People.
Sarah mag ihren Mutterinstinkt.
Sarah hat einen Volkswagen.
Sarah kann weder mit Hallervorden noch mit Loriot viel anfangen
Sarah hat im Internet niemals interessante Leute kennen gelernt.
Sarah hält MySpace und Facebook für eitlen Mist.
Sarah war noch nie in der Oper oder in einem Musical.
Sarah ist Badewannenfan.
Sarah liebt Gewitter.
Sarah ist, was Kleidung angeht, Kurzträgerin.
Sarah hat den ultimativen Schnäppchenfinger.
Sarah denkt, Melancholie braucht Zeit.
Sarah trinkt keinen Alkohol.
Sarah macht um das Nachtleben lieber einen kleinen Bogen.
Sarah kommt gut damit klar, nicht „everybody`s darling“ zu sein.
Sarah liegt sonntags gerne rum und liest.
Sarah liebt den eingedeutschten Ausdruck „das ist genau meine Tasse Tee“.
Sarah hat keine Lust, fremden Menschen Privates mitzuteilen.

Darüber hinaus hat Sarah ihren ersten Roman verfasst. Das Buch heißt Mängelexemplar und trägt diesen Titel sicher nicht in Anspielung auf dieses letztjährige, unsägliche Bestsellerwerk, sondern schlicht, weil der Titel Sinn macht und griffig ist. Das Werk handelt von der jungen Frau Karo, die, durch ihre unzählige Spiegelung an äußeren Eindrücken, beschließen muss, den Kampf um sich selbst anzugehen, um endlich glücklich zu werden. Es geht um Liebe, Freundschaft, Familie, Panikattacken oder die täglichen Achterbahnfahrten im Leben eines ganz „normalen“ siebenundzwanzigjährigen Menschen.

Einige der besten Zeilen:
Ich frage mich, ob sich Menschen im Krieg manchmal vorstellen, es wäre nur Silvester. // Ich lasse es mir von Mama erklären, sie macht eine Zeichnung. Das kann sie gut, ich wurde mit einer Zeichnung der Gebärmutter aufgeklärt. // Meine Familie und all die eingespielten Sätze und Kleinigkeiten brachten mich plötzlich auf die Weihnachtspalme. // Der nächste Morgen ist ein Arschloch. //Mit halbgeschlossenen Augen wankt er am dunklen Wintermorgen zur Arbeit, abends zur Kaufhalle und erreicht mit nassen Schuhen und letzten Kraftreserven das schützende Heim. Dort legt er sich vor den Fernseher, wickelt gegebenenfalls seine Familie wärmend um sich herum und schläft. // Also schlucke ich mich runter und schlafe ein. // Sie sind ein bisschen wie Niels Ruf, nur weniger Arschloch. // Sie hatte völlig unterschätzt, welchen Einfluss ihre Vergangenheit auf ihre Gegenwart hat. // …und waren sogar mal sechs Monate gemeinsam in Barcelona. Zur Selbstfindung. Wir haben uns aber nicht gefunden, also sind wir wieder nach Hause geflogen. // Ich gehe schlafen, denn meine Metaphern werden schwül. // Umsatz schlägt Seele im großen Marktwirtschafts-Schnick-Schnack-Schnuck. // Leid schafft eine Fangemeinde. // Alle roten Fäden, aus denen ich mir doch eigentlich einen schicken Kopf-Pullover stricken wollte, sind plötzlich weg oder wieder verknotet. // Das ist also das Ziepen und Zerren in meinem Herzen. Ich möchte nicht allein sein. Ich möchte meine Liebes-Flatrate zurück. Eine Garantie für Zuneigung. Ein Liebes-Buffet. All you can love. // Ich möchte Erfolge. Ich möchte bald wieder im normalen Leben mitspielen dürfen. Wie die anderen Kinder sein.

Da ich mit ihr kaum über das Buch gesprochen habe, schickt mir Sarah gestern noch folgende Antwort auf eine Email:
Meine liebste Stelle im Buch ist wohl der Moment in dem Karo die CD „Autogenes Training“ ausprobiert. Für diese Passage habe ich mir selbst diese CD von Susanne Hühn gekauft und im Grunde alles, was Karo durchmacht, auch durchgemacht: Enttäuschung, Hibbeligkeit und Langeweile. Das hat großen Spaß gemacht und mir gleichzeitig gezeigt, dass ich mich wohl auch nicht so recht entspannen kann. Zumindest nicht auf Ansage.

Sarah Kuttner?
Das ist eine moderne Ingeborg Bachmann. Ihr Mängelexemplar ist klug, witzig, psychologisch, schmerzhaft wie gleichsam wunderbar hoffnungsvoll. Und Frau Bachmann hätte wohl auch keine Lust gehabt, einem Fremden Privates mitzuteilen oder ich hätte eventuell nicht so „auf Ansage“ machen sollen.



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